Was wir vorleben, wirkt tiefer als das, was wir sagen
Nicht nur das Gesagte wirkt, auch das Feld trägt etwas.
Manchmal sitzen mir eine Mutter oder ein Vater gegenüber und sagen diesen einen Satz: „Ich habe meinen Kindern nie Druck gemacht.“
Während diese Worte im Raum stehen, wird das Feld zwischen uns spürbar, noch bevor die Geschichte weitergeht.
Dann beginnen sie zu erzählen. Von der Schulzeit der Kinder, von Tagen, an denen viel Einsatz gefragt war, von Momenten des Stolzes, wenn etwas gelungen ist, und von jener inneren Unruhe, die sich zeigte, wenn der Weg ins Stocken geriet. Und während sie sprechen, fügt sich ein Bild, das sich nicht aus Worten allein zusammensetzt, sondern aus Haltungen, aus inneren Spannungen, aus dem Tempo, mit dem dieses Leben über viele Jahre gegangen wurde.
Kinder leben nicht in unseren Sätzen.
Sie leben in dem Feld, das wir um sie herum aufbauen.
In der Art, wie wir atmen, wenn etwas nicht nach Plan läuft.
In der Spannung, die sich in unserem Körper hält, wenn wir Leistung erbringen.
In dem inneren Maßstab, den wir jeden Tag sichtbar leben, lange bevor wir ihn je in Worte fassen.
Worte können weich klingen, und doch wirkt das, was verkörpert wird, auf eine viel tiefere Weise.
Ich begegne immer wieder Müttern und Vätern, die aufrichtig davon ausgehen, ihren Kindern Freiheit ermöglicht zu haben, und gleichzeitig erzählen sie mir von Lebenswegen, die von innerem Antreiben, von hohem Verantwortungsgefühl und von Maßstäben geprägt sind, die kaum Raum für Stillstand lassen. In diesen Momenten zeigt sich zwischen den Generationen eine leise Verbindung, die nicht über Absicht entsteht, sondern über das, was Tag für Tag gelebt wurde.
Leistungsdruck wird selten über Ermahnungen weitergegeben.
Sie fließt über Haltung, über Selbstanspruch, über das, was im Alltag selbstverständlich geworden ist.
Viele der Eltern, die mir gegenübersitzen, tragen bis heute viel auf ihren Schultern. Sie gehen seit Jahren mit einem inneren Auftrag durch ihr Leben, der sie zuverlässig führt, auch dann, wenn der Körper längst Signale sendet, die nach Entlastung rufen. Sie nehmen Erschöpfung wahr und setzen ihren Weg fort, weil dieses innere Programm aus Verantwortung, Durchhalten und Funktionieren tiefer wirkt als jede bewusste Entscheidung. Und oft sind es genau diese Menschen, die mit wacher Aufmerksamkeit auf ihre erwachsenen Kinder schauen, wenn diese in einem ähnlichen Tempo durch ihr eigenes Leben gehen.
Dann entsteht jener Moment, in dem sich etwas ordnet, ohne dass Schuld oder Vorwurf im Raum stehen müssen. Ein ruhiges Erkennen zeigt sich zwischen den Zeilen: Nicht nur das Gesagte wirkt, auch das Feld trägt etwas.
Manche Elternteile sagen mir an dieser Stelle: „Ich wollte, dass es meine Kinder einmal leichter haben.“
Dieser Wunsch ist ehrlich und liebevoll und zugleich zeigt sich darin oft jene Verschiebung, in der das, was als Entlastung gedacht war, als innere Kraft weiterwirkt und den nächsten Lebensweg begleitet.
Kinder gehen mit dem weiter, was sie im Feld ihrer Eltern lesen, aus Nähe, aus Verbundenheit, aus Loyalität.
Besonders deutlich zeigt sich dieses Feld in der Beziehung zwischen Mutter und Sohn, dort, wo Nähe über viele Jahre Form gegeben hat und innere Loyalität oft still wirkt. Über diese Dynamik habe ich in einem eigenen Text geschrieben.
→ Mutter und Sohn – Wo Männlichkeit ihre erste Form erhält
Und genau hier beginnt eine andere Bewegung. In dem Moment, in dem Eltern beginnen zu spüren, wie sie selbst mit Leistung, Ruhe, Anspruch und innerem Tempo umgehen, verändert sich zugleich das, was sie an ihre Kinder weitertragen.
Entlastung beginnt dort, wo der eigene Körper in ein anderes Tempo findet und sich der eigene Maßstab für ein erfülltes Leben von reiner Leistung löst und nicht länger ausschließlich an Funktionieren und Durchhalten gebunden ist. Und genau in diesem Wandel verändert sich auch das Feld und die Beziehung zwischen den Generationen.
Vielleicht zeigt sich an dieser Stelle eine weitere Tiefe. Denn das, was sich zwischen Eltern und Kindern bewegt, entsteht selten nur aus dem eigenen Leben. Oft wirkt darin ein älterer Auftrag, der schon lange vor uns begonnen hat und von Generation zu Generation weitergetragen wurde.
Im nächsten Text geht es genau um dieses Feld. Um die unsichtbaren Linien von Pflicht, Leistung und Durchhalten, die in Familien weitergegeben werden,
ohne je ausgesprochen zu sein.
→ Weiterlesen: „Was du für Liebe hältst, ist manchmal ein alter Auftrag.“
Ich bin Susanne.
Ich arbeite mit Frauen, die ihren inneren Weg ernst nehmen.
Frauen, die spüren, dass etwas in ihnen wächst.
Wenn es in dir ruft, findest du den Weg.

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